Wie ein unerfüllter Kinderwunsch deine Beziehung zerstört

In den ersten Jahren verbringen Paare viel Zeit in trauter Zweisamkeit. Am Anfang einer Liebesbeziehung stellt sich die Frage nicht, ob ein unerfüllter Kinderwunsch die Partnerschaft zerstören könnte. In der ersten Kennenlernphase bleibt dieses Thema meistens unberührt. „Ich will meinen Partner nicht erschrecken. Da heißt es oftmals: „Wir kennen uns ja kaum“. Junge Paare lernen sich kennen und sammeln gemeinsame Erlebnisse. Sie vergleichen sich und wägen ihre Interessen ab. Sie fahren gemeinsam in den Urlaub. Sie stellen sich ihren Freunden und Familien vor. Sie teilen ihre Wünsche und Träume. Wenn sie merken, dass sie sich gut verstehen, werden sie zusammenziehen und sich den Herausforderungen eines gemeinsamen Alltags stellen. Sobald sie sich eine eigene Familie wünschen und die biologische Uhr langsam zu ticken beginnt, werden sie konkreter in der Planung ihres gemeinsamen Lebenswegs. Oft glauben Paare, dass sie noch viel Zeit haben. Auch in dieser Phase der Beziehung bleibt das Thema „unerfüllter Kinderwunsch“ oft unangetastet, bis sie feststellen, dass es mit der Schwangerschaft nicht so einfach klappen will.

Ein gemeinsamer Lebensweg birgt zahlreiche Herausforderungen. Alles Neue, was in unser Leben einkehrt, verlangt nach neuen Bewältigungsstrategien und persönlichen Kompetenzen, die erst entwickelt werden dürfen. Je schwieriger es ist, die notwendigen Strategien und Kompetenzen aufzubauen, desto größer ist die Herausforderung krisenhafte Situationen gut zu meistern und die Lebensübergänge als Reifeprozesse zu verstehen. Eine der größten Herausforderungen im Leben eines Paares ist es, wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt und sich dadurch immer mehr Druck aufbaut.

Wenn der Weg zum Kind in einem unerfüllten Kinderwunsch endet

Der Weg auf der Kinderwunschreise hat viele Ebenen und Etappen. Der Kinderwunsch betrifft zuerst einmal das Paar selbst, dann deren Familien und Freundeskreis, sowie Kollegen am Arbeitsplatz. Die Etappen betreffen die Phasen zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Erst stellt das Paar fest, dass es wahrscheinlich schwieriger wird als gedacht. Nach der Phase der Enttäuschung folgt immer wieder erneut die Hoffnung, dass es diesmal klappt. Die ständigen Enttäuschungen können so sehr erschöpfen, dass man selbst oder die/der Partner:in davon spricht, aufgeben zu wollen. Für den anderen fühlt es sich wie ein absolutes Urteil an. Auch wenn jeder für sich entscheiden muss, wie weit er oder sie gehen möchte, um sich den Kinderwunsch zu erfüllen, so stellt es für ein Paar die größte Herausforderung dar, den Bedürfnissen beider gerecht zu werden.

Ein perfektes Rezept gibt es leider nicht

Ein perfektes Rezept gibt es leider nicht

Ein unerfüllter Kinderwunsch berührt die elementarsten Fragen im Leben eines Menschen. Wir stellen uns diese Fragen erst, wenn wir damit konfrontiert werden, dass wir vielleicht keine eigenen Kinder haben werden. Es ist möglich, dass durch diese Erkenntnis das eigene Kartenhaus völlig in sich zusammenfällt und wir das Gefühl haben ins Leere zu fallen. Denn nichts passt mehr zusammen. Oft beschäftigen sich Betroffene erst nach einer Weile mit möglichen Alternativen, z.B. künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft, eine Adoption oder als Paar kinderlos zu bleiben.

Auch wenn es viele Alternativen gibt, bedeutet das gleichzeitig, dass sich das Paar irgendwann auf eine Alternative einigen sollte, damit das Leben weiter gehen kann. „Ich will auf keinen Fall eine Adoption. Damit würde ich ja meine Hoffnung aufgeben“, meint Petra. Ihr Partner ist jedoch der Meinung, man könnte auch einem bereits geborenen Kind ein Zuhause bieten und Eltern sein.

Wenn sich alles nur noch um den Kinderwunsch dreht

Sonja schaut ihrem Mann tief in die Augen und sagt entsetzt: „Ist das dein Ernst? Du willst nicht mit mir zur Kinderwunschklinik fahren? Wie soll das gehen?“ Ihr Mann, Uli, meint darauf kühl: „Ganz einfach. Sag den Termin für morgen ab. Ich will das nicht.“ Für Sonja bricht eine Welt zusammen. Ihr Kopf fühlt sich wie Watte an. Die Vorstellungen vom Familiennest, wie sie ihr Kind erziehen möchte und wie ihr Kind mit dem Kind ihrer besten Freundin spielt, sind dahin. Das Kinderzimmer, das sie in Gedanken schon eingerichtet hat, wird nicht entstehen. Das alles scheint plötzlich und unerwartet zerstört. „Wie kannst du mir das nur antun“ schreit Sonja und läuft aus der Wohnung. Uli senkt seinen Kopf. Er hat es sich sehr gut überlegt. Tag und Nacht wälzt er die Gedanken hin und her. Vorteile, Nachteile, Risiken, die körperlichen Belastungen für seine Frau und die Enttäuschungen, wenn es wieder nicht geklappt hat.

Wenn sich alles nur noch um den Kinderwunsch dreht
Sonja und Uli haben bereits zwei erfolglose Versuche in der Kinderwunschklinik hinter sich. Beim letzten Mal hat sich Sonja für Wochen versteckt, geweint und wollte nichts unternehmen. Sie war krankgeschrieben und wollte mit niemanden reden. Erst langsam erholte sie sich wieder. Uli macht sich ernsthafte Sorgen. „Man muss doch auch mal auf andere Gedanken kommen“, meint Uli zu seinem Freund, während sie auf einer Bergtour ihre Köpfe frei bekommen wollen. Für Uli geht es nicht darum, den Kinderwunsch aufzugeben, sondern darum seine Frau zu schützen. Er kann es nicht mehr ertragen, wie sie leidet, weint und trauert. Er kann in diesen Situationen keine Worte finden und hat das Gefühl, sie immer mehr zu verlieren. Schließlich stellte er ihr gemeinsames Leben in Frage und inwieweit er das noch weitere Jahre mittragen will. „Fünf Jahre sind genug“, denkt er. „Es muss doch auch ein glückliches Leben ohne Kinder geben“.

Wenn sich der Mann als Samenspender reduziert fühlt

Larissa macht alles, um endlich schwanger zu werden. Sie geht zwei Mal in der Woche zum Yoga und hat einen Schrank voller Nahrungsergänzungsmittel. Sie ist ständig in Sprechstunden von Ärztinnen und Ärzten, um ihre Blutergebnisse zu besprechen. Sie macht Hormontherapien. Sie hofft, dass ihre neue Heilpraktikerin, Yvonne, mit Akupunktur helfen kann. Genau beobachtet sie den Zyklusverlauf auf ihrer App. Jeden Morgen das gleiche Thema. Benni kann es schon nicht mehr hören. „Morgen geht es wieder los. Ich habe meinen Eisprung. Du bist dann bitte da“, meint Larissa. Vor einem Jahr war das für Benni noch lustig. Auf dem Sprung zu sein. Als “Babymacher”, wie er sich selbst bezeichnete. Doch mittlerweile ist ihm die Freude vergangen. Er fühlt sich benutzt. „Früher haben wir es „Liebe machen“ genannt“, meint er, „seit kurzen nennt sie es Verkehr und Zeugung.“ Er spürt immer mehr den Stress in sich, nicht leisten zu können, was er sollte. Benni hat immer mehr dieses schlechte Gewissen, weil es in seinem Leben auch noch etwas anderes gibt als ein Kind. Toxische Schuldgefühle vergiften immer mehr die Beziehung. Schließlich ziehen sich beide immer mehr zurück und künsteln oberflächlich an ihrer Ehe herum. Offen miteinander reden geht schon lange nicht mehr, denn das schmerzt zu sehr.

Wie ihr fehlender Kinderwunsch die Beziehung zerstört

Wie ihr fehlender Kinderwunsch die Beziehung zerstört

Es sind nicht immer die Männer, die sich mit dem Zeitpunkt der Familiengründung schwertun. Meistens liest man von Frauen, die sich eine Familie wünschen und der Partner nicht mitziehen will. In diesem Fall ist es Oskar, der unbedingt eine Familie gründen und Vater sein möchte. Vivian hat den Fokus auf ihre berufliche Karriere und dem Bereisen der Welt. “Ich brauche dieses ungebundene und unabhängige Gefühl. Vier Wochen mit Rucksack durch Asien ist für dieses Jahr mein absolutes Highlight”, schwärmt Vivian. Oskar dagegen kommt aus einer kinderreichen Familie. Für ihn ist es selbstverständlich mit 30 seine eigene Familie zu gründen und sesshaft zu sein. Denn er sieht eine Familie als wesentlichen Bestandteil seines Lebens. Seine älteren Geschwister haben alle bereits mindestens ein Kind. Vivian ist bei ihrer Mutter und Großmutter großgeworden. Ihren Vater kennt sie nicht. In Oskars Familie hat sie ein Stück Zuhause gefunden, doch den Wunsch nach einem eigenen Kind hat sie nicht. „Man muss doch mal erwachsen werden und sich dem Lauf des Lebens stellen. Und das besteht eben nicht nur aus Geld verdienen, Karriere und Urlaub in exotischen Ländern machen“, meint Oskar. Er hat auf eine Familie hingearbeitet und bereits in seiner Ausbildungszeit für ein späteres Eigenheim vorgesorgt. Vivian dachte, dass das mit dem Kinderwunsch schon irgendwie kommen wird. Jetzt bekommt sie Panik, wenn sie daran denkt, dass Oskar erneut darüber reden will, wann sie die Pille absetzen wird. Sie hat Angst Oskar zu verlieren.

Unterschiedliche Ansichten bei unerfülltem Kinderwunsch können die Partnerschaft zerstören

Unterschiedliche Ansichten bei unerfülltem Kinderwunsch können die Partnerschaft zerstören

Manfred Max Neef ist ein chilenischer Ökonom mit deutscher Herkunft. In den 90er Jahren entwickelte er ein Modell „menschlicher Grundbedürfnisse“.

Sein Modell besteht aus 9 Bedürfnissen:

  • Überleben, materielle Lebensgrundlagen, Lebenserhaltung
  • Schutz und Sicherheit
  • Zuneigung, Zuwendung und Liebe
  • Verstehen und Verständnis
  • Partizipation und Teilnahme
  • Muße und Müßiggang
  • Kreativität
  • Identität
  • Freiheit

All diese Bedürfnisse bestehen nebeneinander. Das Bedürfnis zu überleben und eine materielle Lebensgrundlage zu haben, ist gleichzeitig die Basis für die anderen Bedürfnisse. Es kann sein, dass mehrere Bedürfnisse gleichzeitig befriedigt werden, wenn ich eine bestimmte Sache unternehme. Es kann allerdings auch sein, dass ein Bedürfnis auf der Strecke bleibt, wenn ich einem bestimmten Bedürfnis Priorität einräume. Zum Beispiel können sich das Bedürfnis nach Schutz/Sicherheit, dem Bedürfnis nach Identität/Freiheit widersprechen und einen Konflikt hervorrufen.

Wenn du und dein:e Partner:in das Gefühl habt aufgrund eures unerfüllten Kinderwunsches in eine Krise geraten zu sein, dann geben wir dir folgende Empfehlung: Werde dir über deine Bedürfnisse klar und schaffe die Basis deine Bedürfnisse klar und verständlich deiner bzw. deinem Partner:in mitzuteilen.

Vielleicht stellst du fest, dass du zu sehr auf deinen Kinderwunsch fixiert bist und es noch andere attraktive Möglichkeiten gibt, um ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Das bedeutet an dieser Stelle nicht, den Kinderwunsch aufzugeben, sondern die Erkenntnis, dass es Alternativen gibt. Diese Erkenntnis wird dazu führen, deinen Körper und deine Psyche zu entspannen.

Bitte deine:n Partner:in ebenfalls diese Tabelle auszufüllen und gleicht eure Ergebnisse ab. Wo findet ihr Gemeinsamkeiten? Wo seht ihr gleiche oder ähnliche Alternativen? Wo seid ihr euch uneinig? Ist diese Uneinigkeit verhandelbar? Oder stellt diese Differenz ein K.O.-Kriterium dar. Egal zu welchem Ergebnis ihr kommt, irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem ihr Bilanz ziehen müsst, um neue Entscheidungen für eure Lebenswege zu treffen.

So teilst du deine Ergebnisse in einem Zwiegespräch:

Bitte deine:n Partner:in dir für 10 Minuten aufmerksam zuzuhören, ohne dich zu unterbrechen. Wenn ihr beide diese Aufgabe gemacht habt, gelten diese 10 Minuten natürlich jeweils für euch beide. In dieser Zeit kannst du deine Ergebnisse der Bedürfnisübung erläutern und mitteilen, was für dich von besonderer Bedeutung ist und Vorrang hat. Vielleicht kannst du aufzeigen, warum ein Kind für dich so wichtig ist und warum es dich so verletzt, dass du noch immer nicht Mutter oder Vater bist. Für Männer, die gerne Väter sein möchten, ist diese Übung auch hilfreich, um die eigenen Bedürfnisse zu klären und den Kinderwunsch in Relation zu setzen.

Lade dir die Unterlagen zur Übung:

Fazit

Damit ein unerfüllter Kinderwunsch nicht deine Partnerschaft zerstört, ist es wichtig mutig zu sein und klar miteinander zu reden. Krisen werden in der Regel größer je länger man ihre Existenz verdrängt.

Beginnt frühzeitig, euch ehrlich und offen über eure Bedürfnisse auszutauschen. Es gibt viele Motive für und gegen ein Kind. Manchmal will ein Teil des Paares keine Familie gründen oder hat Bedenken. Komplikationen erschweren eine Schwangerschaft. Künstliche Befruchtungen sind fehlgeschlagen. Es gibt Partner:innen, die ihre Familienplanung bereits in der ersten Ehe abgeschlossen haben und keine zweite Familie gründen möchten. Vielleicht existieren finanzielle Engpässe, die den Kinderwunsch in die Zukunft verschieben und damit vielleicht in eine Phase der sinkenden Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, rutschen. Kindheits- oder Geburtstraumen, können Ursache dafür sein, dass sich kein Kinderwunsch einstellt, oder es besteht Angst ein Kind zu gebären.

Nutzt die Zeit – so früh wie möglich – um offen und ehrlich darüber zu reden, was euch im Leben wichtig ist. Prüft Alternativen.

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Modell menschlicher Grundbedürfnisse nach Manfred Max Neef

1. Überleben, Materielle Lebensgrundlage, Lebenserhaltung (Subsistence)

Bedürfnis nach: körperlich und geistig gesund sein; mit sich im Gleichgewicht sein; Nahrung, ein Dach über dem Kopf und Arbeit haben; sich fortpflanzen; ein passendes Lebensumfeld haben

2. Schutz, Sicherheit (Protection)

Bedürfnis nach: Fürsorge und Geborgenheit, Solidarität erfahren; selbstständig sein; soziale Sicherheit haben; Abgesichert sein (Ersparnisse, Versicherungen, Krankenversicherung) und Vorsorge treffen; Rechte haben; mit anderen kooperieren; helfen

3. Zuneigung, Zuwendung, Liebe (Affection)

Bedürfnis nach: Selbstachtung, Solidarität, Respekt, Toleranz; Partnerschaft, Familie, Freundschaft; sich lieben; sich kümmern, in Gemeinschaft sein; sich wertschätzen; Gefühle ausdrücken dürfen

4. Verstehen, Verständnis (Understanding)

Bedürfnis nach: Neugier, Vernunft, Aufnahmebereitschaft; zu forschen, experimentieren, analysieren; zu lernen, andere auszubilden;

5. Partizipation, Teilnahme (Participation)

Bedürfnis nach: sich anpassen; Solidarität zu erleben und zu leben; sich engagieren; Leidenschaft haben; Verantwortung und Pflichten übernehmen; etwas leisten; mit anderen kooperieren; etwas zustimmen; Meinungen austauschen, sich mitteilen; mitbestimmen; einer Gemeinschaft angehören (Partei, Kirche, Gemeinde, Nachbarschaft, Familie)

6. Muße, Müßiggang (Idleness)

Bedürfnis nach: Ruhe und Beschaulichkeit, Sorglosigkeit; sich Phantasien hingeben; Spielen, Spaß haben und Feiern; in den Tag hineinträumen; sich an Vergangenes erinnern; die Freizeit genießen

7. Kreativität (Creation)

Bedürfnis nach: etwas schaffen oder erfinden; sich beschäftigen; Fähigkeiten und Fertigkeiten einsetzen; produktiv sein; Rückmeldungen erfahren; frei über die eigene Zeit verfügen

8. Identität (Identity)

Bedürfnis nach: sich abgrenzen, sich selbst achten und behaupten; in Bezugsgruppen den eigenen Platz definieren; sich selbst kennen bzw. kennenlernen; sich selbst verwirklichen; sich weiterentwickeln

9. Freiheit (Freedom)

Bedürfnis nach: Freiraum, Autonomie und Mut; Gleichberechtigung; Risiko; Unterschieden
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