Pflegeeltern werden

Laut des BMFSFJ ist fast jedes 10. Paar in Deutschland zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Jedes 10. Paar setzt sich also wahrscheinlich mit der Frage auseinander, auf welchem Weg sie Eltern werden können. Sicher ist für viele Paare der naheliegendste Weg, zunächst einmal medizinische Unterstützung zu suchen. Gynäkologie, Urologie, Endokrinologie, Kinderwunschpraxen und so weiter. Ärztinnen und Ärzte tun alles in ihrer Macht stehende, um Frauen zu einer Schwangerschaft zu verhelfen. Doch was, wenn sich auch mit Hilfe der sogenannten Kinderwunschtherapien keine gesunde Schwangerschaft einstellen will? Wie kann es dann weitergehen? „Wenn ihr kein eigenes Kind kriegen könnt, könnt ihr doch einfach eines adoptieren oder Pflegeeltern werden!“ Das ist eine der häufigsten Aussagen, mit denen Außenstehende manchmal versuchen, ein Paar mit unerfülltem Kinderwunsch zu trösten oder aufzuheitern. Über die Übergriffigkeit und Gedankenlosigkeit dieser Aussage möchte ich an dieser Stelle nicht weiter sprechen. Über den sachlichen Inhalt hingegen schon.

Ein aufgenommenes Kind dient nicht als Ersatz für das eigene Wunschkind

Egal, ob man ein Kind adoptieren möchte oder ob ein Paar Pflegeeltern werden möchte: Das Kind, das sie aufnehmen, kann und wird niemals ein Ersatz für ein leibliches Kind sein, das dieses Paar sich so sehr gewünscht hat. Das aufgenommene Kind ist ein ganz eigener kleiner (oder auch schon großer) Mensch mit einer eigenen Persönlichkeit, mit eigenen Erfahrungen, einer eigenen Geschichte – und mit leiblichen Eltern.

 Ein aufgenommenes Kind dient nicht als Ersatz für das eigene Wunschkind

Und genau diese Eigenständigkeit, die das Kind mitbringt, ist unter anderem der Grund dafür, dass man nicht anstelle des eigenen Kindes ein anderes Kind aufnehmen kann.

Das wäre übrigens auch sehr schade, denn mit der Anspruchshaltung, dass das aufgenommene Kind ein Ersatz sein soll, würden die Pflegeeltern dem Kind und auch sich selbst die Möglichkeit nehmen, zu entdecken, welche Einzigartigkeit in dem Kind steckt. Deshalb ist mein sehr von Herzen kommender Rat an alle Frauen und Männer, die mit dem Gedanken spielen, sich um ein Pflegekind  zu bewerben: Nehmt euch ausreichend Zeit, euren leiblichen Kinderwunsch wirklich zu verabschieden und loszulassen. Danach kann das Abenteuer „Pflegeeltern werden“ großartig für euch alle werden 🤍

„einfach“

Ein Pflegekind aufzunehmen, sieht für jemanden, der sich bisher nicht mit dem Thema auseinandergesetzt hat, einfach aus. „Ihr könnt doch einfach ein Kind aufnehmen!“ ist schnell daher gesagt. Aber ist es wirklich so einfach?
Nein. Die Entscheidung, ein Kind bei sich aufzunehmen, ist alles andere als einfach. Das ist auch völlig okay, denn wir sprechen hier ja nicht über einen neuen Teppichboden oder eine neue Wandfarbe, die man ändern kann, wenn es doch nicht gefällt. Wir sprechen über ein Kind. Über einen kleinen Menschen, der ab sofort beim Großwerden begleitet werden will – mit allen Freuden, Erfolgserlebnissen und Herzmomenten, aber eben auch mit allen Sorgen, Konflikten und Ängsten, die dazugehören. Hat man die Entscheidung einmal getroffen, ist der Weg nicht beendet – es wird also immer noch nicht „einfach“. Der Weg vom ersten Informationsgespräch bis zum (möglichen) ersten Kindervorschlag ist ein Weg voll spannender Fragen, aufschlussreicher Termine mit der Vermittlungsstelle und teilweise sogar gespickt mit Situationen, in denen die werdenen Pflegeeltern ihre:n Partner:in von einer ganz neuen Seite kennenlernen könnten. Das ist die Zeit der sogenannten Eignungsüberprüfung. Denn die Vermittlungsstelle möchte die Bewerber:innen natürlich bestmöglich kennenlernen, bevor sie ein Kind in ihre Obhut geben.

Vermittlungsstelle für Pflegeeltern

Wenn Frauen und Männer sich auf diesen Weg einlassen und darauf vertrauen, dass die Vermittlungsstelle nicht ihr Feind ist, sondern es einfach zu ihrer Aufgabe gehört, die Bewerber:innen auf Herz und Nieren zu überprüfen, kann in dieser Zeit eine ganz neue Verbindung in der Partnerschaft wachsen.

Formen der Pflege-Elternschaft

Wer Pflegeeltern werden möchte, muss sich unter anderem die Frage stellen, auf welche Form der Pflege man sich einlassen mag (und kann!):

Kurzzeitpflege

1. Kurzzeitpflege

Bereitschaftspflege

2. Bereitschaftspflege

Vollzeit- / Dauerpflege

3. Vollzeit- / Dauerpflege

Sonderpflege

4. Sonderpflege

Wenn man Pflegeeltern werden möchte, um einem Kind langfristig ein zu Hause zu schenken, wird meistens die Vollzeit- / Dauerpflege relevant.


Diese Pflegeform rechnet mit einer dauerhaften Unterbringung eines Kindes bei den Pflegeeltern, für das diese dann zur Hauptbezugsperson werden. Es ist also hier die Aufgabe, das Kind bei seiner Entwicklung langfristig zu begleiten, es zu unterstützen und zu stärken.


Um dem Kind die dazu notwendige Stabilität, Geborgenheit und das Vertrauen entgegenzubringen, darf und soll hier eine enge Bindung zu dem Kind aufgebaut werden. Diese kann durchaus enger sein als die zu den leiblichen Eltern. Die Punkte 1, 2 und 4 werden in den seltensten Fällen für Paare, die „frisch aus dem Kinderwunsch kommen“ relevant.
Die Kurzzeitpflege ist normalerweise dann erforderlich, wenn die Eltern ihr Kind kurzzeitig nicht selbst versorgen können, z. B. aufgrund eines Krankenhaus- oder Reha-Aufenthaltes. Hier geht das Kind in aller Regel nach wenigen Wochen zurück nach Hause.

Kurzzeitpflege
Ebenfalls zeitlich begrenzt ist die Bereitschaftspflege. Bereitschaftspflegeeltern sind ein bisschen wie die „Feuerwehr“ – ihr Einsatz kann sehr spontan notwendig werden und zwar beispielsweise dann, wenn ein Kind aus einer Familie herausgenommen, also vom Jugendamt in Obhut genommen wird, weil die Eltern nicht in der Lage sind, es zu versorgen oder weil das Wohl des Kindes gefährdet ist. Um die Kinder während der Zeit, in der das weitere Vorgehen, die weitere Versorgung geklärt wird, nicht in einem Heim unterzubringen, gibt es Bereitschaftspflegefamilien, welche die Kinder vorübergehend aufnehmen.

Eine Sonderpflege bedeutet, dass beispielsweise Kinder mit erweitertem Förderbedarf, mit erhöhten Anforderungen in eine Familie vermittelt werden, die den besonderen Bedürfnissen der Kinder gerecht werden kann. Da es bei der Sonderpflege beispielsweise um Verhaltensauffälligkeiten, erhöhte Erziehungsansprüche oder auch um erhebliche körperliche Einschränkungen geht, haben Pflegeeltern hier in der Regel entsprechende Berufsausbildungen und -erfahrungen wie beispielsweise Krankenschwester / -pfleger oder Pädagoge:in.

Was ist mit den leiblichen Eltern?

Das Kind, das in ein neues Zuhause zieht, hat eine Herkunftsfamilie. Diese wird im weiteren Leben des Kindes in der Regel auch eine Rolle spielen, denn die leiblichen Eltern bleiben die Eltern. Ein Verwandtschaftsverhältnis würde sich bei einer Adoption  ändern – nicht aber bei einer Dauerpflege. Je nachdem wie alt das Kind ist, wenn es zu seinen Pflegeeltern kommt, weiß es auch schon, dass es „zwei Mal“ Eltern hat. Aber auch, wenn das Kind im Säuglings- oder Kleinkindalter von den Pflegeeltern aufgenommen wird, ist dringend empfohlen, von Anfang an offen mit der Situation umzugehen und darüber zu sprechen – natürlich altersgerecht. Je nachdem, mit welcher Begründung das Kind aus der Herkunftsfamilie genommen wurde, kann es sein, dass ein regelmäßiger Besuchskontakt mit den leiblichen Eltern besteht. Damit werdende Pflegeeltern aber nun nicht in Sorge geraten: Das wird in aller Regel kein „Kaffeekränzchen“ bei der Familie zu Hause sein. Normalerweise findet dieser Kontakt in Begleitung der Vermittlungsstelle statt und auch nicht zu Hause, sondern an einem neutralen Ort. Auch die Sorge, dass die leiblichen Eltern den Pflegeeltern permanent „reinreden“ könnten, möchte ich an dieser Stelle entschärfen. Obwohl die rechtliche Elternschaft und das Sorgerecht nicht bei den aufnehmenden Eltern liegen, werden sie in der Regel eine Vollmacht für die „Alltagssorge“ erhalten, die ihnen erlaubt, einiges allein zu entscheiden. Weiter ist es oft so geregelt, dass das Jugendamt oder ein Vormund das Sorgerecht haben – somit wäre dann auch keine Rücksprache mit den leiblichen Eltern erforderlich.

Pflegeeltern werden: Rechtliche Themen

Aber was ist mit der weit verbreiteten Meinung, die leiblichen Eltern können der neuen Familie das Kind wieder „wegnehmen“? Hier sollten die Pflegeeltern bzw. in der Vorstufe schon die Bewerber:innen unbedingt offen mit dem Jugendamt sprechen, denn die Mitarbeiter:innen können recht früh einschätzen, ob ein Kind lediglich für eine kürzere Verweildauer in Pflege gegeben wird (Bereitschaftspflege) oder ob ein langfristiger Platz in einer Familie gesucht wird.

Ist Pflegeeltern werden die Lösung bei einem unerfüllten Kinderwunsch?

Eigentlich eine geschlossene Frage, die dennoch gar nicht so einfach und schon gar nicht allgemeingültig mit Ja oder Nein zu beantworten ist. Diese Frage dürfen alle, die überlegen, ein Kind aufzunehmen, für SICH SELBST beantworten und sich auch viel Zeit für Selbstreflexion und Ehrlichkeit nehmen: Wer ein Kind aufnehmen möchte, um sich über einen unerfüllten leiblichen Kinderwunsch hinwegzutrösten oder um sich davon abzulenken, ist sicher auf dem falschen Weg. Damit würde man dem Kind und auch den eigenen Bedürfnissen nicht gerecht. Hier empfehle ich dringend, sich noch eine Weile Zeit zu lassen und sich die Frage zu einem späteren Zeitpunkt – beispielsweise nach stattgefundener Trauerarbeit oder nach einer psychologischen Beratung – erneut zu stellen.

Pflegeelter werden: Loslassen
Wer ein Kind aufnehmen möchte, weil sie bzw. er so viel zu geben hat, wer bereit ist, sich auf ein Kind mit Geschichte und Persönlichkeit einzulassen und wer sich sicher ist, dass es keine Lücke gibt, die das Kind füllen soll, dann wünsche ich den zukünftigen Bewerber:innen von Herzen alles Gute und eine spannende Reise auf dem Weg „Pflegeeltern werden“. Für jemanden, der sich unsicher ist, welcher Weg der richtige ist, ist der Weg zum Jugendamt nie falsch! Hier erhält man alle Informationen, die notwendig sind, um über kurz oder lang die individuell richtige und passende Entscheidung zu treffen!

Fazit

Eine Alternative um sich den Kinderwunsch zu erfüllen, ist die Aufnahme eines Pflegekindes. Dies kann durchaus eine gute Lösung für die betroffenen Personen sein. Gleichzeitig schafft dies die Chance für ein Kind, welches bereits zu Beginn des Lebens mit den verschiedensten Herausforderungen konfrontiert wurde. Trotz allem sollte im Voraus der eigene Kinderwunsch verabschiedet werden, denn ein Pflegekind ersetzt kein eigenes Kind. Dieses Bewusstsein für sich selbst zu schaffen ist unabdingbar, um gute Pflegeeltern zu werden. Weitere Informationen zum Thema Pflegekind findest du hier.

Du benötigst Unterstützung bei der Entscheidungsfindung? In unserem Unterstützer:innen-Netzwerk findest du Expertinnen und Experten, die dir gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Claudia

Zur Autorin:

Claudia Berchtold von cb | Coaching und Beratung ist psychologische Beraterin und Personal Coach. Als selbst ungewollt kinderlos gebliebene Frau ist es ihr eine Herzensangelegenheit, Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch und / oder Paare im Adoptions- und Pflegekindbewerberprozess zu begleiten und zu unterstützen. Sie selbst sagt: „Inzwischen habe ich meinen Frieden damit gemacht, dass ich nie Mutter sein werde. Mit meiner Selbständigkeit habe ich einen neuen Lebensentwurf für mich gefunden, der mich erfüllt und heute möchte ich für andere der Mensch sein, den ich zu meiner aktiven Kinderwunschzeit so sehr gebraucht hätte. Da ich es für wahnsinnig wichtig halte, in dieser belastenden Zeit des Kinderwunsches auch die mentale Verfassung im Auge zu behalten, freue ich mich ganz besonders über die Kooperation mit Partner4Baby, denn hier findet man neben vielen anderen Angeboten nicht nur Mediziner sondern auch Coaches.“ Mehr Informationen über Claudia und ihre Arbeit findest du hier: https://cb-beratung.com/

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