Interview vom 31.07.2022 – Namen wurden abgeändert.
Ich bin zu Gast bei Kathrin und Maya. Wir sitzen im Wohnzimmer. Es ist ein warmer Sommerabend, die Fenster sind geöffnet, im Hof ihres Wohnhauses in Berlin Kreuzberg rauscht der Wind durch die Bäume. Jonathan (5) hört noch ein Hörbuch zum Einschlafen im Nebenzimmer. Eigentlich wollten sie gar kein Co-Parenting machen, erzählt Kathrin. Einen Kinderwunsch hatten Maya und sie aber schon lange. Seit sie zusammengekommen sind, haben sie immer wieder gemeinsam darüber nachgedacht, welches Familienmodell für sie infrage kommt und wie sie ihren Wunsch umsetzen können. In diesem Blogbeitrag erfährst du, wie sie vom „Kinderwunsch ohne Mann“ zum Familienmodell des Co-Parenting gekommen sind.
Aus Gründen der Flexibilität lieber Samenspende als Co-Parenting?
„Der Grund, warum wir zuerst kein Co-Parenting machen wollten war, dass wir kein geteiltes Sorgerecht installieren und auch keinem aktiven Vater oder Vater mit Onkelfunktion zustimmen wollten. Denn wir leben in zwei Kulturen: Ich komme aus Deutschland, Maya kommt aus Israel und wir wollten die Möglichkeit haben, irgendwann einmal als Familie dort zu leben“, erklärt Kathrin. Das könnte ein Vater, der den Aufenthaltsort des Kindes mitbestimmen darf, eventuell verhindern.
Sie entschieden sich deswegen zunächst für eine offene Samenspende. Auf der Plattform SpermaSpender.org machten sie sich auf die Suche nach einem passenden Spender. Kathrin berichtet, dass sie sogar jemanden gefunden hatte, mit dem sie sich auch ein paar Mal getroffen haben: einen Wissenschaftler, der sein Erbgut weitergeben wollte. Sie hatten sich bereits auf die Rahmenbedingungen geeinigt und sogar schon einen konkreten Zeitplan miteinander abgesprochen.
Doch dann erzählte ein guter Freund von einem Bekannten, der Interesse habe, und der es sich auch zu ihren Bedingungen vorstellen könne, der Vater ihres Kindes zu werden. Maya und Kathrin trafen sich daraufhin mit Leo. Die Sympathie war auf beiden Seiten gleich vorhanden. Sie trafen sich häufiger und der Plan, gemeinsam mit ihm ein Kind zu zeugen, wurde schnell konkret.
Leo war einverstanden mit allen Bedingungen, zu denen das Paar den Kinderwunsch umsetzen wollte. Er würde, sobald eine der beiden Frauen schwanger war, die Vaterschaft anerkennen und alle Rechte und Pflichten an sie abtreten. Das beinhaltet auch, dass er das Baby zur Adoption freigibt, damit Kathrin das biologische Kind von ihm und Maya adoptieren kann. So haben sie und Maya gemeinsam das Sorgerecht.
Zeugung mit der Bechermethode: Bei den Treffen entstand die Freundschaft
Es folgten 10 aufregende Monate, in denen sich Leo, Kathrin und Maya regelmäßig ein- bis zweimal im Monat trafen, um die Bechermethode anzuwenden. „Jeder hat sein Ding gemacht. Leo brachte den Becher rein und ich hab mich dann um meine Aufgabe gekümmert. Danach haben wir dann immer noch zusammen auf dem Bett gelegen und eine Tasse Tee getrunken und uns unterhalten. So haben wir uns eigentlich richtig kennengelernt und es ist eine Freundschaft daraus entstanden“, erzählt Kathrin. Zuerst sollte sie schwanger werden. Es klappte jedoch nicht so wie erhofft. Anfangs legten die beiden Frauen noch Wert auf eine romantische Situation miteinander während der Zeugung, doch schon bald merkten sie, dass es nicht zu ihnen passte. Ihr Hauptinteresse bestand in dem Moment einfach darin, schwanger zu werden.
„Romantik hin oder her, das Einzige was sicher ist: wenn du keinen Samen in dich reintust, dann wirst du auch nicht schwanger!“ lacht Kathrin. Also gingen sie es pragmatischer an.
Doch der Erfolg blieb weiterhin aus. Bis sie nach 10 Monaten die Rollen wechselten. Maya wurde beim ersten Versuch sofort schwanger.
Eine gemeinsame Vision stärkte die drei Co-Parents in ihrem Entschluss
Nach dem ersten Trimester der Schwangerschaft standen die ersten informativen behördlichen Termine an. Die Vaterschaft muss anerkannt und der Verzicht auf das Sorgerecht erklärt werden, sowie die Bereitschaft, das Kind zur Adoption freizugeben.
„Leo musste beim Termin mit dem Jugendamt schon erstmal schlucken, als er gefragt wurde, ob er sich im Klaren darüber sei, dass er keinerlei Rechte als Vater haben werde“, berichtet Kathrin. Doch die gemeinsame Vision, welche die drei während der Schwangerschaft an einem gemütlichen Abend am Küchentisch zusammen entworfen hatten, machte ihm Mut: Sie hatten sich ausgemalt, dass sie, egal was passiert, eines Tages den 18. Geburtstag ihres gemeinsamen Kindes als drei glückliche und stolze Eltern zusammen feiern wollen. Diese Vision treibt sie bis heute an. „Leo musste uns dann einfach vertrauen“, erzählt Kathrin. „Er wusste, dass er, wenn er das Kind zur Adoption freigibt, keinerlei Rechte mehr hat. Aber er kannte uns ja auch schon ein bisschen und hatte einfach ein gutes Gefühl bei uns. Er hat uns dann einfach auch vertraut.“
Gelungene Integration: Aus dem Samenspender ist ein aktiver Vater geworden
Seit Jonathan auf der Welt ist, kommt Leo jeden Dienstag zu ihnen, um für seinen Sohn da zu sein. Sie merkten schnell, wie gut es zwischen ihnen als Familie läuft, und so beschlossen sie, als Jonathan etwas über ein Jahr alt war, ein zweites Kind zu bekommen. Mittlerweile ist Frida da, Jonathans kleine Schwester. Frida ist 3 und das biologische Kind von Kathrin und Leo. „Als der Druck weg war und wir schon ein Kind hatten, habe ich es noch mal probiert, und dann hat es auch geklappt“ berichtet Kathrin glücklich. „Mir war es sehr wichtig, selbst auch ein Kind in Mayas Familie mit einzubringen“.
Ich frage Kathrin, ob sie zufrieden mit der Entwicklung der Rollenverteilung ist, da anfangs ja etwas anderes geplant war. “Wir haben mit Leo den Jackpot geknackt!“ sagt sie mit leuchtenden Augen. Er liebt die Kinder und die Kinder lieben ihn. Kathrin berichtet, dass Leo ganz natürlich die Rolle eines aktiven Vaters eingenommen hat, auch wenn weiterhin alle wichtigen Entscheidungen von Maya und ihr getroffen werden. Dies stelle jedoch für ihn überhaupt kein Problem dar. „Er ist ja von Beruf Erzieher. Er hat uns auch dabei geholfen, einen Platz im Kindergarten für Jonathan zu finden“, sagt Kathrin. Maya und Kathrin können sich zu hundert Prozent auf ihn verlassen und wissen, dass ihre beiden Kinder immer gut bei Leo aufgehoben sind. Fragt man Kathrin, wie sie zu Leo steht, so sagt sie: „Er ist meine Familie. Er gehört einfach dazu. Er kommt weiterhin jeden Dienstag und macht alles für die Kinder, vom Abholen bis zum Essen und ins Bett bringen. Diesen Sommer kommt er auch das erste Mal mit uns nach Israel. Die Kinder freuen sich schon wahnsinnig darauf, ihm dort alles zu zeigen“. Sie fügt hinzu: „Er heißt auch ganz selbstverständlich Papa bei den Kindern. Am Anfang haben wir noch überlegt, ob er nicht besser mit Leo angesprochen werden sollte, aber es ist jetzt total natürlich, dass er Papa heißt, denn er ist ihr Papa.“
Kathrin und Maya leben mit den Kindern im Berliner Bezirk Kreuzberg, Leo lebt in einer Einraumwohnung im Prenzlauer Berg. Bisher stört das niemanden, auch wenn die Kinder mit ihrem Papa immer bei Maya und Kathrin sind.
Gibt es manchmal Konflikte zwischen den drei Co-Eltern?
Kathrin denkt einen Moment lang über diese Frage nach. Dann antwortet sie, dass es eigentlich keine größeren Konflikte gibt. „Außer die kleinen Dinge, wo man ab und zu mal mit den Augen rollt. Gerade wenn der andere etwas anders macht als man es selbst tun würde. Aber das passiert ja zwischen Maya und mir genauso“, fügt sie hinzu. Zum Beispiel sei sie etwas nachgiebiger oder inkonsequenter als Leo, der den Kindern als Erzieher sehr klare Grenzen setzen würde.
Doch was würde passieren, wenn sie irgendwann doch mal in einem wichtigen Punkt anderer Meinung wären? Wenn wir uns streiten würden, und es vor Gericht gehen würde, dann hätte Leo mittlerweile gute Chancen, ein Umgangsrecht zu bekommen, da er eine Beziehung zu den Kindern nachweisen kann. Im Zweifelsfall wird immer im Interesse der Kinder entschieden“. Dies macht den drei Co-Parents jedoch überhaupt keine Sorgen. Denn weder sind grundlegende Konflikte in Sicht, noch würden die drei in Kauf nehmen, dass ihre gemeinsamen Kinder unter einem Streit der Eltern leiden müssen.
Was können Menschen, die Co-Parenting als Familienmodell erwägen, von Kathrin, Maya und Leo lernen?
Der wichtigste Tipp, den Kathrin für Menschen hat, die sich überlegen, ob das Familienmodell des Co-Parenting für sie geeignet sein könnte, ist, von vorneherein klare Absprachen zu treffen. „Seid euch im Klaren über die Rollenverteilung und beurkundet das notariell. Je klarer man sich über die rechtliche Situation ist und das von Anfang an umsetzt, desto besser.“
Sie fügt hinzu: „Legt aber auch nicht alle haarkleinen Details fest, sonst entgeht euch die Möglichkeit, dass die Dinge sich noch von selbst in eine schöne Richtung entwickeln können, mit der ihr nicht gerechnet habt. Den Tipp hat mir sogar der Notar gegeben!“
Es gibt zum Beispiel auch in queeren Regenbogen-Zentren wie dem in Berlin Kreuzberg Beratungsstellen für Co-Parenting, in denen man sich zum Thema Co-Parenting beraten lassen kann, und an die man sich auch wenden kann, wenn etwas schief läuft. Die Angebote für Eltern sind für Kathrin auch immer sehr bereichernd gewesen. „Die Krabbelgruppe dort war toll, weil man mitbekommt, wie viele unterschiedliche Familienmodelle es gibt!“ sagt sie.
Im Nebenzimmer ist das Hörbuch bereits seit einer Weile zu Ende, Jonathan und Frida schlafen. Auf meine letzte Frage, ob sie mit ihrer Familie glücklich sei, antwortet Kathrin lächelnd: „Es hätte nicht besser laufen können.“
Fazit:
Das Familienmodell des Co-Parentings ist eine Alternative zum traditionellen Familienmodell und auch zur Samenspende.
- Das Modell kann funktionieren, wenn man sich vorab gut abspricht, die rechtliche Situation genau kennt und die Rollen von Anfang an verteilt.
- Es ist ratsam, die Aufteilung der Rollen bzw. der Rechte notariell beurkunden zu lassen.
- Auf der Basis einer geklärten Rollenverteilung kann sich Zusammenhalt und Fürsorge entwickeln und die Co-Parents können auch emotional zu einer Familie zusammenwachsen.
Du möchtest mehr zum Thema Co-Parenting erfahren? Hier findest du weitere Informationen zum Familienmodell Co-Parenting.
Zur Autorin:
Anna Schmutte ist Coach, Körpertherapeutin und systemische Familientherapeutin. Zusammen mit der Autorin Sarah Diehl leitet sie Seminare zum Thema Kinderwunsch und Ambivalenz.
Anna hatte lange Zeit keinen starken Kinderwunsch und ist mit 43 dann doch noch glückliche Mutter geworden. Sie genießt es, in ihrer Berliner Praxis mit Klient:innen zu arbeiten und auf dem P4B-Blog über die Themen Kinderwunsch, Co-Elternschaft und Pflegekinder zu schreiben. Außerdem bietet Anna den Online-Kurs "Will ich Kinder?" an, der gerade auf ihrer Webseite diekinderfrage.de erschienen ist.